Vor einigen Jahren ging ein Aufschrei durch die Medien- Immer mehr
Jugendliche würden sich selbst mit scharfen Gegenständen verletzen. Dies
nennt man Selbstverletzendes Verhalten, kurz SVV. Schuld an jener neuen
'Volkskrankheit' seien Druck in der Schule, Scheidung der Eltern oder
Liebeskummer. Nach einiger Zeit ebbten die
Berichte ab und die im Volksmund als 'Ritzer' bezeichneten Jugendliche
traten buchstäblich wieder in den Hintergrund. Aber wie war es überhaupt
dazu gekommen? Durch die Veröffentlichung verschiedener
Lebensgeschichten einzelner Ritzer in Zeitschriften wie 'Bravo' kamen
viele Jugendliche zum ersten Mal in Berührung mit diesem Thema.
Selbstverständlich ist Aufklärung ein wichtiger Teil der Prävention von
SVV, jedoch scheint der Zeitpunkt extrem ungünstig gewählt. Die meisten
'Bravo'-Leser sind zwischen 13 und 18 Jahren alt. In dieser
aufreibenden, schwierigen Zeit, der Pubertät, brechen oft unverarbeitete
Kindheitstraumata hervor und Kinder beginnen, ihren Körper zu
entdecken, probieren sich aus. Durch den makabaren 'Hype' des SVV
begannen viele Jugendliche jedoch, sich selbst zu verletzen, ohne einen
konkreten Grund zu haben. Viel mehr spielte hierbei eine Art
Gruppenzwang eine Rolle: In der 6.-9. Klasse gehörte es schon fast zum
guten Ton, sich mindestens einmal selbst verletzt zu haben, um die
-meist erfundenen oder überdramatisierten- Geschichten hinter den aus
dem SVV resultierenden Narben zu erzählen. SVV wurde damit zu einer
Modekrankheit degradiert, sodass die Unterscheidung zwischen einem
hilfsbedürftigen, ernsthaft gefährdeten Jugendlichen und einem
'Fashion-Victim' nahezu unmöglich wurde.
Heutzutage ist das Thema SVV kaum noch in den Medien präsent, da nach
einer bestimmten Zeit das SVV als Nebeneffekt der Pubertät abgetan
wurde. Lediglich in speziellen Foren oder Plattformen wird dieser
'Trend' weiterhin gehypt und verfolgt. Diese Entwicklung ist jedoch ein
zweischneidiges Schwert: Studien zufolge sind in Deutschland rund eine
Million Kinder und Jugendliche im Alter von 11-24 Jahren betroffen.
Diese Jugendliche leiden unter einer ernsthaften Verhaltensstörung, die
schreckliche Maße annehmen kann und die Jugendlichen stark gefährdet. In
der Gesellschaft werden sie jedoch nur noch als
aufmerksamkeitssuchende, exzentrische, pubertierende Kinder angesehen,
die sich mit ein wenig Selbstdisziplin und Besinnung allein helfen
könnten. Diese Annahme führt allerdings nur zu einer Folge:
SVV-Patienten wird möglich, ihre Krankheit herunterzuspielen, bis es
eventuell zu spät ist – und die Gesellschaft hat grade noch ein
Kopfschütteln übrig.
SKN
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen