Freitag, 12. April 2013

SVV – Eine Modekrankheit?

Vor einigen Jahren ging ein Aufschrei durch die Medien- Immer mehr Jugendliche würden sich selbst mit scharfen Gegenständen verletzen. Dies nennt man Selbstverletzendes Verhalten, kurz SVV. Schuld an jener neuen 'Volkskrankheit' seien Druck in der Schule, Scheidung der Eltern oder Liebeskummer. Nach einiger Zeit ebbten die Berichte ab und die im Volksmund als 'Ritzer' bezeichneten Jugendliche traten buchstäblich wieder in den Hintergrund. Aber wie war es überhaupt dazu gekommen? Durch die Veröffentlichung verschiedener Lebensgeschichten einzelner Ritzer in Zeitschriften wie 'Bravo' kamen viele Jugendliche zum ersten Mal in Berührung mit diesem Thema. Selbstverständlich ist Aufklärung ein wichtiger Teil der Prävention von SVV, jedoch scheint der Zeitpunkt extrem ungünstig gewählt. Die meisten 'Bravo'-Leser sind zwischen 13 und 18 Jahren alt. In dieser aufreibenden, schwierigen Zeit, der Pubertät, brechen oft unverarbeitete Kindheitstraumata hervor und Kinder beginnen, ihren Körper zu entdecken, probieren sich aus. Durch den makabaren 'Hype' des SVV begannen viele Jugendliche jedoch, sich selbst zu verletzen, ohne einen konkreten Grund zu haben. Viel mehr spielte hierbei eine Art Gruppenzwang eine Rolle: In der 6.-9. Klasse gehörte es schon fast zum guten Ton, sich mindestens einmal selbst verletzt zu haben, um die -meist erfundenen oder überdramatisierten- Geschichten hinter den aus dem SVV resultierenden Narben zu erzählen. SVV wurde damit zu einer Modekrankheit degradiert, sodass die Unterscheidung zwischen einem hilfsbedürftigen, ernsthaft gefährdeten Jugendlichen und einem 'Fashion-Victim' nahezu unmöglich wurde.
Heutzutage ist das Thema SVV kaum noch in den Medien präsent, da nach einer bestimmten Zeit das SVV als Nebeneffekt der Pubertät abgetan wurde. Lediglich in speziellen Foren oder Plattformen wird dieser 'Trend' weiterhin gehypt und verfolgt. Diese Entwicklung ist jedoch ein zweischneidiges Schwert: Studien zufolge sind in Deutschland rund eine Million Kinder und Jugendliche im Alter von 11-24 Jahren betroffen. Diese Jugendliche leiden unter einer ernsthaften Verhaltensstörung, die schreckliche Maße annehmen kann und die Jugendlichen stark gefährdet. In der Gesellschaft werden sie jedoch nur noch als aufmerksamkeitssuchende, exzentrische, pubertierende Kinder angesehen, die sich mit ein wenig Selbstdisziplin und Besinnung allein helfen könnten. Diese Annahme führt allerdings nur zu einer Folge: SVV-Patienten wird möglich, ihre Krankheit herunterzuspielen, bis es eventuell zu spät ist – und die Gesellschaft hat grade noch ein Kopfschütteln übrig.

SKN

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